Nixdorf
Heinz Nixdorf hatte bereits als 27-jähriger Physikstudent sein erstes Unternehmen LFI (Labor für Impulstechnik) gegründet und entwickelte zunächst Rechenwerke, die dann in elektronischen Rechnern verschiedener Hersteller zum Einsatz kamen. Anfangs beschäftigte er vor allem Techniker und machte noch alle Entwicklungsarbeiten selbst, erst 1958 stellte er den ersten Ingenieur ein.
Bereits 1954 stellte Nixdorf den Computer "ES" fertig. Er wurde bei der RWE für die Buchhaltung auf Lochkartenbasis eingesetzt und war der erste in Deutschland gefertigte Röhrencomputer. Weiterentwicklungen davon wurden ebenfalls bei der RWE eingesetzt.
Das Hauptgeschäft waren jedoch weiterhin Komponenten für andere Hersteller.
1964 gewann Nixdorf den Entwickler Otto Müller als Mitarbeiter. Der war zuvor bei Telefunken beschäftigt gewesen und hatte bereits dort den vergleichsweise kleinen Rechner "TR 10" entwickelt, den Telefunken jedoch nicht vermarkten wollte. Daraufhin wechselte Müller 1963 vorübergehend zu IBM, bevor ihn Heinz NIxdorf abwarb.
Müller entwickelte für LFI eine Programmsteuerung, die 1965 in der Wanderer Logatronic erstmals zum Einsatz kam.
1968 entschied sich Nixdorf zum Kauf der Wanderer-Werke, seinen größten Kunden. In der daraufhin gegründeten Nixdorf Computer AG ging auch das Labor für Impulstechnik auf. Inzwschen hatte Otto Müller seine Programmsteuerung auf Basis integrierter Schaltkreise weiterentwickelt. Daraus entstand Nixdorfs erste Computerfamilie, die 820.
Die Nixdorf 820 war bei weitem nicht das einzige System der mittleren Datentechnik in Deutschland, in den folgenden Jahren aber das mit Abstand erfolgreichste. Nixdorf nutzte die Einnahmen zum konsequenten Ausbau des Unternehmens und damit einhergehend zur Diversifizierung der Produktpalette. Das System erschloss sich immer weitere Einsatzgebiete, neben dem geschäftlichen Einsatz sogar als Prozessrechner oder im Bildungsbereich.
Bis Mitte der 80er Jahre entstanden auch Telefonanlagen, Mehrplatzsysteme, Mainframes, Bankautomaten, Textverarbeitungssysteme und vieles mehr. Gleichzeitig wuchs das Unternehmen auf über 20000 Mitarbeiter und erzielte 1985 einen Umsatz von über 4 Mrd. DM.
Der plötzliche Tod Heinz Nixdorfs auf der CeBit 1986 raubte der Firma ihren wichtigsten Impulsgeber. In den folgenden Jahren wurde aber auch deutlich, dass Nixdorf einen wichtigen Trend verpasst hatte, nämlich den Aufstieg des PC und damit den Preisverfall, den dies für die meisten anderen Computersparten bedeutete. Bereits vier Jahre später wurde Nixdorf von Siemens übernommen.
Systemaufbau
Kern jedes Nixdorf 820-Systems ist die Zentraleinheit. Während bei dieser bei einigen anderen Herstellern die Computerkomponenten eher ungelenk in einem Schreibtisch eingebaut wurden, entwarf Nixdorf eigens eine Konsole dafür. Darin ist eine Alfa-Tastatur integriert und daneben eine Zifferntastatur mit diversen anwendungsspezifischen Tasten. Hinter der Tastatur ist ein Kugelkopfdrucker eingebaut, den Nixdorf von IBM bezog. Daneben konnten je nach Anwendung noch weitere Komponenten integriert werden, z.B. ein Kassettenlaufwerk oder ein Lochkartenleser.
Ebenfalls Teil der Konsole ist eine quaderförmige Box, in der der eigentliche Computer in Form diverser Module untergebracht ist. Neben Steuer- und Rechenwerk auf IC-Basis sind das auch die verschiedenen Speichertypen (Betriebsprogramm, Betriebsystem und Anwendungsprogramm in Fädeltechnik, Arbeitsspeicher als Ringkernspeicher).
Das Steuerwerk ist mikroprogrammiert. Das Mikroprogramm wurde als Bestandteil des Computers mitgeliefert und ist abhängig von den in diesem eingebauten Komponenten. Es wird als "Betriebsprogramm" bezeichnet. Jeder Computer hat natürlich elementare Maschinensprachebefehle, die auch bei jedem Modell gleich sind, z.B. für den Transfer von Daten, Arithmetik, Vergleichsbefehle, bedingte und unbedingte Sprünge und Unterprogrammaufrufe. Hinzu kommen Befehle für die zusätzlichen Komponenten, so dass z.B. ein Lochkartenleser direkt per Maschinensprache angesprochen werden kann.
Das Betriebssystem ist noch sehr rudimentär. Es ist in der Maschinensprache geschrieben und läuft damit im gleichen Kontext wie das Anwendungsprogramm. Es stellt keine Benutzerschnittstelle dar, weil normalerweise mit dem Systemstart direkt das Anwendungsprogramm läuft. Heute würde man es als "API" bezeichnen, also als Programmierschnittstelle für Funktionen, die nahezu jedes Anwendungsprogramm benötigt und auf die man als Programmierer zurückgreifen kann.
Die Maschinensprache der 820-Modelle besteht aus 18 Bit großen Befehlen. Diese sind in einen 6 Bit großen OP-Teil (Operation) und einen 12 Bit großen AD-Teil (Adresse) aufgeteilt, wobei der Adressteil nochmal in 3 x 4 Bit unterteilt ist (links, Mitte, rechts genannt), die je nach Befehl unterschiedliche Funktionen haben können. Zumindest die Arithmetikbefehle sind dabei identisch mit den Hohner-Computern (siehe hier), den vollständigen Befehlssatz gibt es hier.
Die Systeme konnten vom Kunden sehr flexibel nach seinen Anforderungen zusammengestellt werden.
Serie 820
Die Serie 820 bestand aus drei verschiedenen Grundmodellen, die es jeweils in der Variante "FAC" (Fakturier- und Abrechnungscomputer) und "MKC" (Magnetkontencomputer) gab. Unabhängig davon konnten die Computer um diverse Peripheriegeräte erweitert werden.
Die Anwendungssoftware musste für jeden Kunden individuell erstellt werden und wurde nach Maschinensprachebefehlen (5 - 7 DM / Befehl) abgerechnet.
Modell | Zeitraum | Speicher | Preis in DM | Ausstattung |
---|---|---|---|---|
820/15 FAC | 1968 - 1976 | 16 - 512 DW (128 - 4096 Byte) | 30000 - 51000 | festprogrammierbar Druckeinheit und Tastatur |
820/15 MKC | 1968 - 1976 | 32 - 512 DW (256 - 4096 Byte) | 51000 - 70000 | festprogrammierbar Magnetkonteneinheit, Druckeinheit und Tastatur |
820/25 FAC | 1968 - 1973 | 16 - 512 DW (128 - 4096 Byte) | 34000 - 55000 | festprogrammierbar Druckeinheit und Tastatur |
820/25 MKC | 1968 - 1973 | 32 - 512 DW (256 - 4096 Byte) | 61000 - 81000 | festprogrammierbar Magnetkonteneinheit, Druckeinheit und Tastatur |
820/35 FAC | 1968 - 1976 | 16 - 1024 DW (128 - 8192 Byte) | 37000 - 85000 | festprogrammierbar Druckeinheit und Tastatur |
820/35 MKC | 1968 - 1976 | 32 - 1024 DW (256 - 8192 Byte) | 73000 - 117000 | festprogrammierbar Magnetkonteneinheit, Druckeinheit und Tastatur |
Peripherie und Erweiterungen:
Bezeichnung | Preis in DM |
---|---|
Lochkartenleser | 6500 |
Lochkartenstanzer ohne Schreibwerk | 20000 |
Lochkartenstanzer mit Schreibwerk | 24000 |
Streifenleser | 6000 |
Streifenstanzer | 6000 |
Drucker | 14000 |
Magnetbandkassetteneinheit | 4500 |
Aufpreis für freiprogrammierbar bei 820/25 und 820/35 | 25000 |
Magnetkontenleser (2400 Konten/h) | 15000 |
Magnetplatteneinheit 7,24 MB für 820/35 | 84000 |
Aufpreis für Fernleitungsanbindung bei 820/35 | 7000 |
Es gab noch ein Modell 820/30, den Vorgänger der 820/35 mit nahezu gleichen Daten.
Serie 840
Die Serie 840 war mit Ringkernspeicher ausgestattet und nutzte diesen als Programm- und Datenspeicher. Optional konnten Anwendungsprogramme aber auch in Form von Festspeicher integriert werden. Mit dem Wegfall der 840/35 wurde die 840/25 nur noch als Nixdorf 840 bezeichnet.
Modell | Zeitraum | Speicher | Preis in DM | Ausstattung |
---|---|---|---|---|
840/25 FAC | 1973 - 1976 | 32 - 512 DW (256 - 4096 Byte) | 45000 - 54000 | Druckeinheit und Tastatur, max. 1024 DW Speicher |
840/25 MKC | 1973 - 1976 | 32 - 512 DW (256 - 4096 Byte) | 77000 - 86000 | Magnetkonteneinheit, Druckeinheit und Tastatur, max. 1024 DW Speicher |
840/35 FAC | 1973 - 1974 | 32 - 512 DW (256 - 4096 Byte) | 50000 - 59000 | Druckeinheit und Tastatur, max. 2048 DW Speicher |
840/35 MKC | 1973 - 1974 | 32 - 512 DW (256 - 4096 Byte) | 83000 - 92000 | Magnetkonteneinheit, Druckeinheit und Tastatur, max. 2048 DW Speicher |
Peripherie und Erweiterungen:
Bezeichnung | Preis in DM |
---|---|
Zusätzlicher Ringkernspeicher 512 Datenworte | 16500 |
Lochkartenleser | 7200 |
Lochkartenstanzer ohne Schreibwerk | 20000 |
Lochkartenstanzer mit Schreibwerk | 24000 |
Streifenleser | 7000 |
Streifenstanzer | 6000 |
Hochleistungsdrucker | 19000 |
Magnetbandkassetteneinheit | 5600 |
Display 256 Zeichen (32 x 8 Zeichen ?) | 5600 |
Display 960 Zeichen (40 x 24 Zeichen ?) | 9600 |
Serie 880
Die Computer der Serie 880 waren grundsätzlich mit einer Magnetplatte (7,24 MB) und Ringkernspeicher ausgestattet. Es gab also kein gefädeltes Anwendungsprogramm mehr, es wurde auf der Magnetplatte gespeichert und zur Ausführung in den Arbeitsspeicher geladen. Den verfügbaren Speicher mussten sich also Programme und Daten teilen.
Modell | Zeitraum | Speicher | Preis in DM | Ausstattung |
---|---|---|---|---|
880/55 FAC | 1972 - 1976 | 8K - 16K Stellen (4 - 8 KiB) | 165000 - 198000 | Magnetband-Kassetten-Einheit, Drucker und Tastatur |
880/55 MKC | 1972 - 1976 | 8K - 16K Stellen (4 - 8 KiB) | 191000 - 224000 | Magnetband-Kassetten-Einheit, Magnetkonteneinheit, Drucker und Tastatur |
Für einen Aufpreis von ca. 2000 Mark konnten die Computer anstelle der Magnetband-Kassetten-Einheit auch mit einem integrierten Lochkartenleser ausgestattet werden.
Peripherie und Erweiterungen:
Bezeichnung | Preis in DM |
---|---|
Lochkartenleser | 6500 |
Lochkartenstanzer ohne Beschriftungseinrichtung | 20000 |
Lochkartenstanzer mit Beschriftungseinrichtung | 24000 |
Hochleistungsdrucker | 19000 |
Zusätzliche Magnetband-Kassetten-Einheit | 4600 |
Zusätzliche Magnetplatteneinheit | 46500 |
Serie 8830 / 8835
Die Serie 8830 war mit Ringkernspeicher ausgestattet und nutzte diesen als Programm- und Datenspeicher.
Modell | Zeitraum | Speicher | Preis in DM | Ausstattung |
---|---|---|---|---|
8830 FIRM | 1975 - 1981 | 6 KiB | 80000 | wie 8830 MKC, nur in Verbindung mit Standardprogramm Firm 3 |
8830 FAC | 1975 - 1981 | 6 KiB | 73000 | Matrixdrucker und Tastatur, 2 Diskettenlaufwerke (315 KB) |
8830 MKC | 1975 - 1981 | 6 KiB | 93000 | Magnetkonteneinheit, Matrixdrucker und Tastatur, 2 Diskettenlaufwerke (315 KB) |
8835 | 1976 - 1981 | 6 KiB | 92500 | Matrixdrucker und Tastatur, Magnetplatte 6,4 MB, Magnetband-Kassetten-Einheit, Display 256 Zeichen |
Peripherie und Erweiterungen:
Bezeichnung | Preis in DM |
---|---|
Lochkartenleser | 6500 |
Magnetband-Kassetten-Einheit | 5600 |
Aufpreis Display mit 960 Zeichen für 8835 | 4000 |
Firmengeschichte
1952 | Heinz Nixdorf gründet am 1. Juli das Labor für Impulstechnik (LFI) in Essen. Er wird von der RWE finanziell unterstützt und auch die ersten Betriebsräume sind dort untergebracht. |
1958 | Das LFI zieht nach Paderborn um. Bis 1961 entsteht dort ein eigenes Werksgebäude. |
1960 | LFI liefert ein elektronisches Multiplizierwerk für die Buchungsmaschine "Continental 6000" der Firma Exacta Büromaschinen GmbH in Köln. Diese wird daraufhin als "Multitronic 6000" verkauft. |
1963 | Exacta wird umfirmiert in "Wanderer Werke". |
1965 | LFI liefert eine elektronische Programmsteuerung für die "Wanderer Logatronic" und das Modell "Praetor" der Firma RUF. |
1968 | Heinz Nixdorf kauft die Wanderer-Werke. Zusammen mit der LFI entsteht in Paderborn die Nixdorf Computer AG. Als erstes Produkt kommt die Nixdorf 820 auf den Markt, eine Weiterentwicklung der Logatronic mit IC-basierter Programmsteuerung. |
1971 | Die Systemfamilie 700 (Kassensystem) kommt auf den Markt |
1972 | Die Nixdorf 880 ist der erste Nixdorf-Computer mit Magnetplatten. |
1973 | Die Nixdorf 840 ist eine Weiterentwicklung der 820 und erlaubt neben der direkten Datenverarbeitung auch die Anbindung an andere Systeme (Großrechner) per Datenfernübertragung. Die 8870/g folgt als Mehrplatzcomputer (max. 4 Terminals) mit Magnetplatte auf die 880. |
1974 | Die Systemfamilie 620, bestehend aus "Datensammelsystemen", kommt auf den Markt. |
1975 | Die Nixdorf 8830/35 ist eine Weiterentwicklung von 820 / 840 als Einzelplatzcomputer mit Magnetplatte. Die Vorgängersysteme bleiben aber noch bis 1979 im Programm. |
1976 | Das Kassensystem 8812 folgt auf die Modelle 705 und 710. Das Handelsinformationssystem 8862 verknüpft die Kassensysteme und ergänzt Funktionen, die heute mit ERP-Systemen realisiert werden. |
1977 | Das Textverarbeitungssystem 8815 kommt auf den Markt. Es speichert auf Disketten und gibt die Texte über einen Matrixdrucker aus. |
1979 | Die Multitext 8840 ist kommt auf den Markt. Es ist ein Mehrplatz-Textverarbeitungssystem mit zentraler Speicherung auf Magnetplatte und Typenraddruckern an den Arbeitsplätzen. |
1980 | Mit der Nixdorf 8890 bringt Nixdorf ein Mainframe-System auf den Markt. |
1982 | Das digitale Vermittlungssystem 8818 ist die erste ISDN-Telefonanlage aus deutscher Produktion und die erste von der deutschen Post zugelassene. |
1986 | Heinz Nixdorf stirbt am 17. März auf der CeBit in Hannover an einem Herzinfarkt. |
1990 | Am 1. Okober übernimmt Siemens die Mehrheit der Stammaktien von Nixdorf. Es wird mit der eigenen DV-Sparte fusioniert und heißt daraufhin Siemens Nixdorf Informationssysteme AG (SNI). |
1998 | Am 1. Oktober wird die SNI AG aufgelöst und in die Siemens AG integriert. Der Name Nixdorf verschwindet in diesem Bereich. |
1999 | Nach einem Verkauf der Handels- und Bankensparte heißt diese zunächst "Wincor Nixdorf" und seit 2016 "Diebold Nixdorf". |
Links
https://www.saintummers.at/nixdorf/nixdorf.html
Private Homepage eines ehemaligen Nixdorf-Mitarbeiters mit umfangreicher Sammlung von Informationen, Werbeanzeigen und gescannten Manuals von Nixdorf.