Homecomputer

Mitte der 1970er Jahre trafen eine ganze Reihe von Ereignissen eher zufällig aufeinander. Das wichtigste war eine bahnbrechende technische Entwicklung: Es war gelungen, die beiden wichtigsten Komponenten eines Computers, das Steuer- und das Rechenwerk, in einem einzigen Chip zusammenzufassen. Das Ergebnis nannte sich Mikroprozessor und war von seinen Schöpfern als Gehirn von Rechenmaschinen, Maschinensteuerungen oder andere Automatisierungsvorgänge vorgesehen.

Zweitens war mit den ersten Videospielen eine neue Beschäftigung entstanden, bei der Jugendliche einen Teil ihrer Freizeit damit verbrachten, quadratische Klötzchen mit rechteckigen Schlägern auf dem Bildschirm hin und her zu spielen.

Das dritte Ereignis lag schon eine Weile zurück: Ende der 60er Jahre war eine Programmiersprache entwickelt worden, mit der auch Anfänger schon nach einer Woche ihre ersten Programme schreiben konnten: Basic. Die Sprache war zudem so simpel, dass sie mit minimalen Hardwareressourcen auskam.

Viertens gab es in der Bevölkerung ein wachsendes Interesse an Computertechnik. Dazu trugen sicher auch die Medienberichte bei, dass man bald schon ohne Computerkenntnisse in kaum einem Beruf mehr werde bestehen können.

Es war nur eine Frage der Zeit, bis diese vier Komponenten zusammenfanden. Sie taten es unabhängig voneinander gleich mehrmals: Zuerst in Form eher kruder Systeme für Technikfreaks, namentlich dem Altair 8800 oder dem Apple I. Kurz darauf gab es jedoch schon Computer, die sich ein durchschnittlich begabter Mensch kaufen, in Betrieb nehmen und sogar benutzen konnte. Das Vergnügen war zwar noch kostspielig, die Preise für ein lauffähiges System jedoch meilenweit von den Einstandspreisen der etablierten Computerhersteller entfernt.

In Amerika kamen 1977 binnen eines halben Jahres der Apple II, der Commodore PET 2001 und der TRS-80 Model 1 von Tandy Radio Shack auf den Markt. Nach Europa schafften es nur die beiden erstgenannten. So richtig wussten die Schöpfer dieser Geräte nicht, wofür ihre Produkte gut sein sollten. Sie waren zwar von der Nützlichkeit überzeugt - aber ob die Anwender damit eher die Finanzbuchhaltung einer Firma oder doch eher Videospiele machen würden, war noch kaum abzusehen. Schon bald wurde klar: Es gab beide Anwendergruppen.

Allerdings forderten die geschäftlichen Anwender vor allem bessere Tastaturen, eine flimmerfreie Bildschirmdarstellung mit 80 Zeichen Text pro Zeile und verlässliche Datenspeicher. Die eher jugendliche Klientel verlangte dagegen nach Farben, der Darstellung von Grafiken und vor allem nach günstigen Einstiegspreisen.

Die Firma Apple entschied sich, vor allem die finanzkräftigere Gruppe anzusprechen. Die anderen Anbieter legten verschiedene Baureihen auf. Schon bald etablierten sich die Bezeichnungen „Personal Computer“ für die eher geschäftlich orientierten Maschinen und „Homecomputer“ für die unterhaltsamere Variante.

1980 brachte die britische Firma Sinclair den ZX80 auf den Markt, einen auf das absolute Minimum reduzierten Rechner in einem winzigen Gehäuse, kaum größer als zwei Taschenrechner. Ein Jahr später wurde die Idee mit dem ZX81 perfektioniert und damit war erstmals ein Homecomputer für unter 500 Mark auf dem Markt. Wer bereit war, das Gerät selbst zusammenzulöten konnte sogar weitere 100 Mark sparen. Viel konnte man mit dem ZX81 angesichts seiner schwarzweißen Bildschirmausgabe, ohne Ton und mit nur einem KB Arbeitsspeicher nicht anfangen.

Anfang der 80er Jahre kam der Markt für Homecomputer in Fahrt. Eine ganze Reihe von Herstellern versuchte die Kunden mit eigenen Systemen für sich zu gewinnen. Nahezu alle Modelle basierten auf einer Auswahl aus einigen wenigen Grafik- und Soundchips in Kombination mit einem von zwei populären Prozessoren (6502 und Z80), trotzdem schafften die Hersteller das Kunststück, dass nahezu alle Homecomputer inkompatibel zueinander waren - häufig selbst die, die vom gleichen Hersteller stammten.

Das führte dazu, dass sich die Entwicklung von Software für Homecomputer eher eine Aufgabe für Hobbyprogrammierer und Kleinstfirmen war. Entsprechend sahen die meisten Programme auch aus.

Das änderte sich, als Commodore 1982 den C-64 auf den Markt brachte. Optisch ein ausgesprochen unscheinbares Gerät, das auch noch das Design seines zwei Jahre älteren Vorgängers VC-20 auftragen musste. Die eingebaute Programmiersprache Basic war nur in einer sehr rudimentären Form vorhanden. Dafür überzeugten die übrigen technischen Daten: 64 KB Arbeitsspeicher waren selbst bei Personal Computern nur selten zu finden. Dazu kamen von Commodore selbst entwickelte Sound- und Grafikchips, denen die Mitbewerber nicht viel entgegenzusetzen hatten.

Die tollen Fähigkeiten ließen sich zwar nur mit viel Mühe hervorkitzeln, aber genau das wurde für viele ambitioniertere Programmierer zu einer Herausforderung, der sie sich gerne stellten. Die Verkaufszahlen entwickelten sich prächtig und dies führte dann auch endlich dazu, dass professionelle Spiele entwickelt und erfolgreich verkauft wurden. Die meisten konkurrierenden Homecomputermodelle wurden spätestens ab 1984 in eine Nischenexistenz verdrängt.

Eine Ursache dafür war auch die lebhafte Raubkopiererszene. Jede neue Software wurde binnen kürzester Zeit „geknackt“, d.h. ihres Kopierschutzes beraubt und dann in der Szene verbreitet. Kurz darauf landeten die Programme selbst auf dem letzten Provinzschulhof. Ein großer Teil der C-64-Besitzer bediente sich bedenkenlos bei den scheinbar kostenlosen Programmen und bei vielen reichten die Basickenntnisse nur noch zum „LOAD“ und „RUN“, mit denen man ein Spiel von Diskette laden und starten konnte.

Fünf Jahre lang - von 1982 bis 1987 - blieb der C-64 fast konkurrenzlos. Noch weit länger wurde er technisch nahezu unverändert produziert. Sein Ende wurde erst mit der nächsten Prozessorgeneration eingeläutet. Seit 1981 gab es den IBM PC und 1984 kam der Apple Macintosh auf den Markt. Beides waren zwar Bürocomputer, aber sie basierten auf 16-Bit-Prozessoren und waren dadurch weit schneller als typische Homecomputer. Außerdem hatte der Mac eine grafische Oberfläche mit Mausbedienung, was auch viele jugendliche Computerfreaks faszinierte.

Erneut war es Commodore, die 1985 ein technisches Wunderwerk präsentierten. Der Amiga war mit Grafikfähigkeiten ausgestattet, die es sonst nur bei Highend-Workstations gab, enthielt einen leistungsfähigen Synthesizer und ein starkes Betriebssystem. Leider war das Gerät viel zu teuer und Commodore positionierte es etwas halbherzig als Kreativcomputer. Erst zwei Jahre später wurde das korrigiert und mit dem Amiga 500 kam eine abgespeckte Variante auf den Markt, die mit etwas über 1000 Mark halbwegs bezahlbar war.

Inspiriert von den ersten Gerüchten zum Amiga hatte der alte Konkurrent Atari ein ähnliches Gerät konstruiert und sogar noch vor dem Amiga auf den Markt gebracht. Der Atari ST war technisch zwar eher schlicht gestrickt und hatte ein weit schwächeres Betriebssystem. Dafür war der Prozessor der gleiche wie beim Amiga, man konnte ihn mit einem gestochen scharfen Schwarzweißmonitor kaufen und es gab brauchbare Bürosoftware dafür. Für Spiele war der ST hingegen weniger geeignet. Unter Studenten und auch bei manchen Werbeagenturen waren ST-Modelle als billige Alternative zum Mac sehr beliebt.

Amiga und ST drohte jedoch Konkurrenz von ganz unerwarteter Seite. Der einst nur für professionelle Aufgaben gedachte PC wurde im Laufe der Zeit immer preiswerter und landete spätestens um 1990 herum in der gleichen Preisklasse wie die Amigas und Atari STs. Die technische Basis war zwar verschieden, aber ähnlich leistungsfähig. Es wurde immer schwieriger für Atari und Commodore, neue Kunden für ihre Homecomputer zu finden und auch bestehende Kunden wanderten langsam zum PC ab. Beide Hersteller reagierten darauf, indem sie selbst PCs ins Portfolio aufnahmen, was aber nur eine Zeitlang erfolgreich war.

Letzlich mussten beide verbliebenen großen Homecomputerhersteller aufgeben. Im Jahr 1994 endete die Ära der Homecomputer nach gerade einmal 15 Jahren.