Haben Sie den Namen Hohner schon einmal gehört? Wenn ja, dürften Sie ihn vermutlich mit Akkordeons oder Mundharmonikas in Verbindung bringen. Bei Hohner wurde zwar bereits sehr früh auch mit elektronischer Klangerzeugung experimentiert und es gab viele Jahre lang elektronische Orgeln und Keyboards aus einer eigenen Elektronik-Fertigung in Trossingen. Das ist aber trotzdem denkbar weit von der Konstruktion und dem Bau von Computern entfernt. Das in den 60er Jahren nachlassende Interesse an Volks- und Hausmusik und der folgende Rückgang des Umsatzes in den angestammten Produktbereichen brachte die Verantwortlichen zum Nachdenken.
Daher entschied man sich im Jahr 1968 bei Hohner, im damals erst langsam anlaufenden Geschäft mit Computern mitzumischen. Der damalige Chef des Familienunternehmens Walter Hohner - im Gründungsjahr immerhin bereits 54 Jahre alt - wählte als Einstieg die Produktion von Baugruppen für IBM und die Fertigung von Taxi-Funkgeräten im Auftrag von Siemens. Kurz darauf entstand unter der Regie von Managern, die Hohner bei IBM und Nixdorf abgeworben hatte, der erste Computer namens "Praetor". Die ersten Geräte wurden ins Ausland geliefert. Hohner arbeitete dabei mit der Ruf AG zusammen, die die Geräte unter eigenem Namen verkauften. Für den Vertrieb in Deutschland suchte Hohner die Zusammenarbeit mit der Firma GDC (Gesellschaft für Datensysteme + Computer mbH) aus Kassel. In den ersten vier Jahren verkaufte Hohner über 2500 Geräte, von denen 2000 ins Ausland gingen. 1971 machte die Computerfertigung mit einem Umsatz von 76 Millionen Mark etwa ein Viertel des Jahresumsatzes aus. Bis 1980 wollte Hohner den Anteil auf 50% steigern. Leider sollte es anders kommen.
Hohner hatte sich auf die mittlere Datentechnik spezialisiert – also den damals kleinsten Typus von Computern. Arbeitsplatzrechner gab es Ende der 1960er ja noch keine. In den meisten Fällen wurden die Computer als Fakturierautomaten oder Buchungsmaschinen genutzt. Für diesen Zweck reichte eine spartanische Hardware-Ausstattung von wenigen hundert Bytes Arbeitsspeicher, der bei den meisten Maschinen ausschließlich für Daten verwendet wurde. Das Programm befand sich in einem Festspeicher und wurde bereits bei der Herstellung integriert. Erst Anfang der 70er Jahre erhielten die Hohner-Computer zunehmend Universal-Speicher, der zwischen Daten und Programmen aufgeteilt werden konnte.
Eine Konsole mit Bildschirm gab es bei den frühen Modellen noch nicht. Sie wurden aber grundsätzlich mit einer Eingabetastatur und einem Drucker geliefert. Der Dialog mit dem Computer lief also bereits über Tastatureingaben, die Antworten wurden jedoch ausgedruckt. Tastatur, Drucker und Computer waren meist eine Einheit in der Form und Größe eines Schreibtischs.
Weitere Peripheriegeräte waren abhängig vom genauen Verwendungszweck und so gestaltet, dass man sie neben dem Computer anreihen konnte. Üblich waren beispielsweise Schnelldrucker, Lese- und Stanzgeräte für Lochkarten oder Lochstreifen, Bandlaufwerke oder Plattenspeicher.
Wurde der Computer als Buchungsmaschine eingesetzt, war eine Magnetkonteneinheit erforderlich. Buchhalter verwenden für Ihre Arbeit seit jeher Kontoblätter. Auf diesen tragen sie Einnahmen oder Ausgaben (Haben / Soll) des Unternehmens ein, rechnen die einzelnen Positionen zusammen und bestimmen so den neuen Saldo. Früher wurde dies manuell gemacht. Ein Magnetkonto ist ein aus leichtem Karton gefertigtes Kontenblatt, meist in DIN A4-Größe. Auf der Rückseite des Blattes befindet sich am Rand ein Magnetstreifen. Auf diesem ist u.a. der letzte Saldo gespeichert und bis wohin das Kontenblatt bereits beschrieben ist. Werden nun Positionen über die Tastatur eingegeben, werden diese automatisch mit dem vom Magnetstreifen gelesenen Saldo verrechnet, die Daten auf das Kontenblatt gedruckt und der neue Saldo auf den Magnetstreifen geschrieben. Das reduziert die erforderlichen Bearbeitungsschritte und macht sie weniger fehleranfällig.
Im Jahr 1975 präsentierte Hohner mit dem HC1 ein universelles Computersystem, das einen großen Schritt in die Zukunft machen sollte. Der Computer sollte mit bis zu 1 MB Arbeitsspeicher ausgestattet werden können und darüber hinaus auch mit virtuellem Speicher umgehen können. Dadurch wurde auch ein Dialogbetrieb mit mehreren Arbeitsplätzen über Terminals möglich und es sollten mehrere Programme gleichzeitig laufen können. Als Massenspeicher waren neben Magnetbändern, Lochstreifen oder Lochkarten auch Plattenlaufwerke vorgesehen. Diese waren – wie damals üblich – in Fest- und Wechselplatten aufgeteilt.
Für eigene Programme war sogar ein Basic-Interpreter eingebaut.
Anhand meiner Unterlagen zum HC1 sieht es so aus, als hätte Hohner das System weitgehend selbst entwickelt – einschließlich Betriebssystem. Das ist einerseits eine enorme Leistung, aber natürlich auch extrem aufwendig. Fast schon erwartungsgemäß lief das System zunächst nicht rund. Die Probleme waren offenbar bereits bei den rund 20 Fachhandels-Partnern von Hohner GDC so groß, dass die Systeme erst gar nicht zu Kunden ausgeliefert wurden.
Am Ende suchte Hohner sein Heil in der Flucht. Die defizitäre Computer-Sparte wurde zum 1.1.1977 an Nixdorf verkauft. Die nutzten die bewährten Hohner-Computer als Einstiegs-Systeme, um die eigene Produktpalette nach unten abzurunden. Der HC1 fiel dabei unter den Tisch. Mir ist nicht bekannt, ob jemals ein System bei einem Kunden produktiv zum Einsatz kam.
Bei meiner Recherche zu diesem Artikel konnte ich einige Fragen noch nicht klären. Falls einer der Leser hier Hinweise geben kann, würde ich mich sehr darüber freuen:
- Laut dem angehängten Prospekt zum Hohner HC1 gab es ein Gemeinschaftsunternehmen "HOHNER GDC" mit dem Standort in der Nähe des Stuttgarter Flughafens: In Leinfelden-Echterdingen, Gutenbergstraße 4. Heute hat in dem Gebäude die Firma Minol Ihren Hauptsitz, ein Service-Dienstleister für die Wohnungswirtschaft, der sich z.B. um die Messung und Abrechnung von Strom- und Wasserverbräuchen kümmert. Beide Unternehmen waren ein paar Jahre gleichzeitig an dieser Adresse. Gab es da eine Zusammenarbeit? Hat Hohner dort produziert oder war es nur eine Vertriebsadresse?
- In der nachstehenden Produktliste finden sich Computer mit "GDC" im Namen und welche ohne. Ich vermute, dass die erstgenannten von GDC in die Partnerschaft eingebracht wurden und die übrigen von Hohner beigesteuert wurden. Kann das jemand bestätigen?